Unsere Gründerin Natalie im Interview mit Julia Radzwill von Ärzte gegen Tierversuche e.V. zur aktuellen europäischen Bürgerinitiative und ganz allgemein über tierversuchsfreie Kosmetik in der EU
Natalie: Hallo Julia, schön, dass wir heute zusammen kommen. Wir möchten gern mit dir über die Europäische Bürgerinitiative (kurz EBI) “Save Cruelty-Free Cosmetics – Für ein Europa ohne Tierversuche“ sprechen und den aktuellen Status zum Thema “ Tierversuche & Kosmetik” in Europa beleuchten. Bevor wir tiefer einsteigen, magst du dich und die EBI einmal kurz vorstellen?
Julia: Ja, sehr gern! Ich bin Julia Radzwill, Diplom-Biologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Ärzte gegen Tierversuche e.V. (ÄgT). Bei ÄgT bereiten wir wissenschaftliche Fachinformationen rund um Tierversuche so auf, dass auch jemand, der keinen wissenschaftlichen Hintergrund hat, verstehen kann, was mit Tieren im Labor gemacht wird und wie tierfreie Forschung funktioniert. Da ich auch beruflichen Background im Kosmetikbereich habe, war es logisch, dass ich auf jeden Fall innerhalb von ÄgT an der Europäischen Bürgerinitiative mitwirke und mich so für tierversuchsfreie Kosmetik einsetze.
Die EBI wurde von europäischen Dachverbänden ins Leben gerufen, also von der European Coalition to End Animal Experiments (ECEAE), Eurogroup for Animals und Cruelty-Free Europe sowie PETA und der Humane Society International Europe (HSI). In Deutschland sind vor allem Ärzte gegen Tierversuche und Peta Deutschland aktiv involviert. Aber natürlich würde die EBI ohne all die engagierten Bürger:innen, die unterschreiben und sich bemühen, weitere Unterschriften zu sammeln, niemals zum Erfolg kommen. Am Ende sind die EBI wir alle! Alle, die in Europa Kosmetik ohne Tierversuche wollen!
Natalie: Warum ist es genau jetzt Zeit für eine Bürgerinitiative auf europäischer Ebene. Kosmetik ohne Tierversuche ist doch gesetzlich vorgeschrieben, oder? Soweit wir wissen, sind Tierversuche in der Kosmetik generell verboten in der EU.
Julia: Theoretisch sind in der EU Tierversuche für Kosmetik verboten, ja. Seit 2013 ist der Verkauf und Import von Kosmetika und kosmetischen Rohstoffen, die an Tieren getestet wurden, illegal. In der Theorie ist europäische Kosmetik cruelty free. Leider gibt es ein Aber: dieses Verbot gilt nur für Inhaltsstoffe, die ausschließlich in Kosmetika vorkommen und das sind nur etwa 10-20 % der enthaltenen Stoffe. Ungefähr 80-90 % der Inhaltsstoffe in Kosmetikprodukten werden aber noch in anderen Bereichen (Putzmittel, Möbelpolitur, …) eingesetzt und fallen damit unter das Chemikaliengesetz (REACH = Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals). Gemäß dieses Gesetzes werden neue Chemikalien bewertet auf potenzielle Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt analysiert. Damit sind Tierversuche für sie gesetzlich nicht verboten, sondern manchmal sogar vorgeschrieben. Das bedeutet: obwohl die fertige Kosmetik ohne Tierversuche auskommt und keine Versuche mehr durchgeführt werden dürfen, sind manche Inhaltsstoffe zu einem früheren Zeitpunkt in vielen Fällen an Tieren getestet.
Ein weiteres Schlupfloch gibt es auch für Rohstoffe, die nur in Kosmetika eingesetzt werden: Wenn es um die Sicherheit der Arbeiter geht, die mit einem bestimmten Stoff während des Produktionsprozesses in Berührung kommen, können von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) Tierversuche verlangt werden. Genau das ist jetzt passiert: Der konkrete Fall, der zur EBI geführt hat, ist der der deutschen Firma Symrise: Die ECHA verlangte von dem deutschen Unternehmen für Kosmetik, Tierversuche für zwei Substanzen durchzuführen, die in Sonnencremes eingesetzt werden – und zwar ausschließlich in kosmetischen Cremes. Daher fallen diese Stoffe unter die Kosmetikverordnung und daher sind Tierversuche eigentlich verboten. Der Hersteller legte dagegen Beschwerde ein, sie wollten nur tierversuchsfreie Tests durchführen, was ja auch vom Gesetz vorgeschrieben ist. Die ECHA aber entschied, dass das Unternehmen die Tierversuche durchführen muss, um eine Sicherheit der Arbeiter zu gewährleisten. Diese Position wurde von der EU-Kommission unterstützt. Über 2.000 Tiere sollten dafür leiden und sterben.
Natalie: Warum braucht es dafür Tierversuche? Kosmetik wie diese ist doch längst erprobt!
Julia: Genau! Natürlich ist es wichtig, dass die kosmetischen Stoffe nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für die Menschen sicher sind, die in der Produktion arbeiten und mit den Stoffen in Kontakt kommen. Das Absurde ist aber: die beiden UV-Filter, um die es hier geht, werden schon seit Jahrzehnten für Sonnencremes verarbeitet! Zudem hat das Wissenschaftskomitee der EU bereits vor Jahren eine Einschätzung zu diesen Stoffen abgegeben. Die Dokumente sind frei verfügbar; es kommen auch jede Menge Tierversuchsdaten darin vor. Dass jetzt erneut für diese bereits lange verwendeten Stoffe neue Tierversuche verlangt werden, ist absolut unverständlich und sinnlos.
Dieser Präzedenzfall rief eine große Protestaktion hervor, die dann in der Gründung der EBI mündete. Die Europäische Bürgerinitiative will verhindern, dass die EU ihr eigenes Gesetz für tierversuchsfreie Kosmetik unterwandert. Denn wenn in diesem Fall die EU Tierversuche zulässt, werden vielen weiteren Tierversuchen in Zukunft Tür und Tor geöffnet. Das wäre ein irrer Rückschritt und unfassbar viele Tiere müssten dann leiden und sterben. Noch dazu sinnlos, denn Tierversuchsergebnisse lassen sich nicht mal prospektiv auf den Menschen übertragen.
Natalie: Wie meinst du das? Tierversuche für Kosmetik bzw. für kosmetische Inhaltsstoffe bieten keine verlässliche Basis zur Bewertung? Warum werden sie dann durchgeführt?!
Julia: In Tierversuchen sollen kosmetische oder medizinische Substanzen auf ihre Gefährlichkeit und/oder (heilende) Wirkung auf den Menschen getestet werden. Dem liegt aber eine falsche Annahme zugrunde, nämlich, dass ein Tier wie ein Mensch reagiert. Tiere aber reagieren auf sehr viele Stoffe ganz anders als der Mensch! Wie unterschiedlich Tiere und Menschen reagieren, zeigt sich sehr deutlich bei Medikamenten, die neu auf den Markt kommen: von 100 Stoffen, die als sicher (ungiftig) und wirksam im Tierversuch gelten, kommen durchschnittlich 90 nicht durch die klinischen Phasen am Menschen, sprich: nicht auf den Markt - die “Erfolgsquote” beträgt nur 10%! Hauptgründe für das Scheitern: die Substanz verursacht doch schwere Nebenwirkungen oder hilft gar nicht gegen die Krankheit. Der Tierversuch hat also in den meisten Fällen eine falsche Einschätzung geliefert, das ist in der Medizin so und in der Kosmetik. Tierversuchsfreie Forschung ist dagegen viel besser!
Natalie: Das sind ja unglaubliche Zahlen! Dass die Erfolgsquote von Tierversuchen so gering ist, war uns auch nicht klar. Was sind die Forschungs-Alternativen für mehr Kosmetik ohne Tierversuche?
Julia: Es gibt heutzutage jede Menge tierfreie, innovative Testmethoden! Diese arbeiten mit menschlichen Zellen und Geweben und nicht mit Tieren, die in Käfigen krank gemacht werden. Nur ein Beispiel für tierversuchsfreie Kosmetik- und Medizin-Forschung: Es ist möglich, heute Mini-Organe im Labor wachsen zu lassen! Die Zellen, die dafür benötigt werden, können während einer Biopsie (Gewebeentnahme) oder schmerzfrei in Form von Hautzellen von einem freiwilligen Spender entnommen werden. Die Biopsie-Zellen werden vermehrt. Wenn man Hautzellen genommen hat, werden diese „zurückprogrammiert“ und können sich zu jeder Zelle des Körpers entwickeln, z.B. zu Leberzellen. Das Tolle ist, dass es sich um menschliche Zellen handelt – also um den RICHTIGEN Organismus mit seinen Eigenschaften in Aufbau, Zellen, Zellstoffen, der Erbsubstanz,…und nicht um einen falschen, nämlich tierischen Organismus. Diese menschlichen Mini-Organe können dann auf einen Multi-Organ-Chip zusammengeschaltet werden – wie im richtigen Körper werden sie verbunden durch ein Flüssigkeitssystem. So wird der Körper- und Blutkreislauf simuliert. Hiermit haben wir also etwas, was kein Tiermodell abbilden kann: ein relevantes, humanbasiertes System! Daran können dann Medikamente und andere Stoffe zielführend getestet werden, auch Kosmetik ohne Tierversuche ist so abbildbar!
Natalie: Das klingt ja wie Science Fiction, wird das schon alles angewendet?
Julia: Ja! Pharmafirmen arbeiten schon oft mit diesen Multi-Organ-Chips, denn die wissen: Tierversuche sind teuer, dauern lange und liefern schlechte Ergebnisse. Aber leider ist die Tierversuchslobby so stark, dass tierfreie Projekte kaum gefördert werden.Tatsächlich geht weniger als 1% der Fördergelder in tierfreie Methoden, 99% der Forschungsgelder in tierversuchsbasierte Projekte. Das müsste sich endlich umdrehen!
Deshalb ist es so wichtig, die EBI Save cruelty free cosmetics zu unterschreiben und auch der Öffentlichkeit klar zu machen: es geht nicht nur anders, sondern sogar besser! Daher schon mal vorweg shoutout an alle, die unterschreiben, teilen, Leuten davon erzählen! Kosmetik ohne Tierversuche ist in Europa ist machbar, wenn wir es wollen!
Natalie: Wir sind 100% überzeugt!!! Bis wann sollte man unterschreiben, wenn man eure Initiative für tierversuchsfreie Kosmetik unterstützen will? Und was genau ist der Unterschied zwischen einer Petition und einer Europäischen Bürgerinitiative?
Julia: Bis zum 31. August (und das sind nur noch eine Handvoll Tage) müssen wir über eine Million gültige Unterschriften zusammen haben, die sich alle für Kosmetik ohne Tierversuche ausspechen. Die Million haben wir geknackt aber es werden noch so einige ungültige oder doppelte Unterschriften nach Ende der Initiative aussortiert werden, so dass die Million an sich nicht reicht, es müssen mehr sein. Also helft uns und unterschreibt jetzt! Normale Petitionen sind nur Appelle an Politiker - bei einer EBI aber muss die EU sich mit dem Thema befassen, wenn in ganz Europa 1 Million Unterschriften innerhalb eines Jahres erreicht werden. Das kann in Gesetzesänderungen münden - man kann damit also tatsächlich richtig was bewegen, Tierleid verhindern und Kosmetik ohne Tierversuche Realität werden lassen!
Die Entscheidung, dass Tierversuche dagegen auch wieder für rein kosmetische Inhaltsstoffe durchgeführt werden müssen, würde bedeuten, dass vielen weiteren Tierversuchen Tür und Tor geöffnet wird – und unzählige Tiere mehr in Laboren leiden und sterben. Außerdem wird es schwer für alle Unternehmen – einschließlich der Marken, die ein “tierversuchsfreie Kosmetik” Siegel tragen – sicherzugehen, neue Inhaltsstoffe einzusetzen, die nicht an Tieren getestet wurden.
Natalie: Stichwort Siegel. Wie können Verbraucher:innen überhaupt verlässlich erkennen ob ihre Kosmetik ohne Tierversuche hergestellt wurde?
Julia: Am besten ist es, auf Siegel zu achten. Auf eine freiwillige Selbstauskunft ohne unabhängige Prüfung eines Herstellers kann man sich nämlich nicht immer verlassen. Eine Übersicht über die gängigsten Siegel und was sie genau bedeuten findest du hier. Allerdings gibt es auch kleine Manufakturen oder Firmen, die vielleicht gerade frisch gegründet sind und (noch) nicht das nötige Kleingeld haben, sich und/oder die Kosmetik tierversuchsfrei zertifizieren zu lassen. Die Zertifizierung kostet nämlich Geld, da unabhängige Fachleute den jeweiligen Betrieb und/oder dieProdukte sowie die eingesetzten Rohstoffe überprüfen und kontrollieren. Hier empfehlen wir, beim Hersteller nachzufragen – ob sich das dann alles plausibel anhört und man vertrauen kann, dass wirklich alles in der Kosmetik ohne Tierversuche hergestellt wurde, muss man dann für sich entscheiden.
Natalie: Genau, so erklären wir auch immer unseren Kund:innen, warum wir als kleine Firma noch kein Siegel haben. In der Vergangenheit hatten wir offen auf unserer Website geschrieben, dass unsere Kosmetik ohne Tierversuche hergestellt ist, wurden dafür aber anwaltlich abgemahnt. Also mussten wir alle Hinweise zu dem Thema “cruelty free” komplett entfernen.
Julia: Das stimmt, denn es gibt die Vorgabe an Hersteller, dass nicht „mit Selbstverständlichkeiten“ geworben werden darf. Laut Gesetz ist es ja so, dass kosmetische Produkte und kosmetische Rohstoffe in der EU, die an Tieren getestet sind, nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen. Offiziell ist also jede Kosmetik ohne Tierversuche hergestellt! Würde man dann groß auf eine Cremetube „tierversuchsfrei“ drucken, ist das gesetzeswidrig, weil Verbraucher damit getäuscht werden könnte, dass hier ein Produkt ein besonderes Merkmal hat, das andere nicht haben. Manche Hersteller machen das zwar, aber es ist kritisch und wenn dies auffällt, kann es Ärger geben. Es ist wirklich paradox: Einerseits gibt es das Gesetz, dass Kosmetik nicht an Tieren getestet werden darf, das soll jetzt unterwandert werden, aber gleichzeitig dürfen Firmen nicht mit dem Slogan „tierversuchsfrei“ arbeiten…
Natalie: Wahnsinn… Vielen Dank, dass ihr euch so für Wandel, Transparenz und echte Kosmetik ohne Tierversuche einsetzt! Wie genau kann man euch jetzt am Wirksamsten unterstützen?
Julia: Aktuell ist die EBI am allerwichtigsten. Jede Unterschrift bringt uns dem Ziel eines Europas ohne Tierversuche näher. Deshalb unterschreibt alle heute noch und erzählt Freunden, Bekannten, Kollegen und Familie davon, dass wir mit einer Unterschrift Kosmetik ohne Tierversuche real machen können! Ihr könnt in unserem Shop auch kostenlos Material bestellen, um auf die EBI aufmerksam zu machen. Wir freuen uns natürlich immer über Spenden und neue Mitglieder, denn unsere Arbeit wird ausschließlich hierüber finanziert. Und natürlich könnt ihr mit uns aktiv werden! Schaut mal bei unseren AGs vorbei. Vielleicht gibt es eine Gruppe bei euch in der Nähe, der ich euch anschließen wollt. Unsere Ehrenamtlichen organisieren Infostände, Mahnwachen und andere Aktionen, nehmen an Demos teil und klären über Tierversuche auf. Und auch als Einzelperson könnt ihr euch über das Thema informieren und diese Infos mit eurem Umfeld teilen.
Natalie: Eine letzte Frage. Wir erleben oft, dass Verbraucher:innen die Begriffe “vegane” und “tierversuchsfreie Kosmetik” gleichsetzen. Kannst du hier noch in ein paar Sätzen Aufklärungsarbeit leisten?
Julia: Na klar. Die Angabe „vegan“ bezieht sich rein auf die Inhaltsstoffe und manchmal, je nach Siegelkriterium, auch auf die Verpackung. Wenn Kosmetik vegan ist, bedeutet das erstmal nur, dass sie keine tierischen Inhaltsstoffe enthält, von Tierversuchen, bzw. tierversuchsfreier Kosmetik ist hier noch lang keinerlei Rede. Auch bedeutet tierversuchsfrei bzw. cruelty free und/oder vegan nicht, dass es sich um Naturkosmetik handelt – selbst wenn ein Produkt vegan und tierversuchsfrei ist, kann es trotzdem statt hochwertiger pflanzlicher Öle minderwertige erdölbasierte Stoffe enthalten, die die Haut wie eine Plastikfolie abdecken sowie fiese Konservierungsmittel oder allergieauslösende Duftstoffe. Es lohnt sich also immer, genau hinzusehen, denn unsere Haut ist unser größtes Organ und dieses will man ja nicht belasten, sondern schützen und pflegen.
Natalie: Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das tolle Interview. Wir drücken die Daumen für den 31. August! Wir glauben an ein Europa und europäische Kosmetik ohne Tierversuche!
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